DIE GESCHICHTE DES BREMER HAUSES



Der Kauf von kleinen Reihenhäusern als Geldanlage war in Bremen schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts verbreitet. Daß auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiterhin Reihenhäuser gebaut wurden, die für eine Familie ausgelegt waren, liegt an der Sonderstellung, die Bremen in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht bis 1888 einnahm. Da Bremen bis 1888 nicht an den Deutschen Zollverein angeschlossen war, bzw auch nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 als Zollausland galt, lebte die Stadt überwiegend vom Außenhandel. Die im restlichen Deutschland stattfindende Industrialisierung fand nur im Bremer Umland statt, weil die übrigen deutschen Staaten zum Schutz ihrer entstehenden Industrien Einfuhrzölle erhoben, die eine Weiterverarbeitung von Rohstoffen in Bremen nicht profitabel machten. So entstanden in Bremen nicht die von anderen Großstädten bekannten Probleme bei der Wohnraumbeschaffung auf, und eine Notwendigkeit, die vorhandenen Flächen durch Bebauung mit großen Mietshäusern besser auszunutzen, bestand nicht. Hinzu kam, daß in der 1841 verabschiedeten und 1847 ergänzten Bauordnung die Errichtung von Hinterhäusern, die nicht an befahrbaren Straßen lagen, verboten wurde. Dies geschah nicht, weil die engen und vom Sonnenlicht kaum beleuchteten Hinterhauswohnungen als ungesund für ihre Bewohner galten, sondern weil befürchtet wurde, daß kriminelle Elemente diese schwer zugänglichen Wohnungen als Schlupfwinkel benutzen könnten.

Da die Bremer Kaufleute aufgrund regen Handels (Bremen war Europas wichtigster Handelsplatz für Baumwolle und weltweit der wichtigste für Tabak) und niedriger Löhne hohe Gewinne erzielten, die sie nur schwer anlegen konnten, wurden Bauwilligen die benötigten Kredite fast aufgedrängt. Verstärkt wurde diese Tendenz noch dadurch, da Bremer Kapitalanleger nicht problemlos auf Anlagen in anderen deutschen Staaten ausweichen konnten, da die Bremer Währung mit Gold gedeckt war, die Währungen im übrigen Deutschland dagegen mit Silber. Das verursachte für Anlagen in den übrigen deutschen Staaten ein erhebliches Wechelkursrisiko, da Gold- und Silberpreis ständig schwankten. So konnten sich auch Arbeiter mit geringem Einkommen und ohne Ersparnis ein eigenes Haus leisten. Dieses Eigentum war in vielen Fällen allerdings nur nomineller Natur, da Arbeiterlöhne nur ausreichten, um die Zinsen der aufgenommenen Kredite zu zahlen. Es bestand also wenig Hoffnung für den Schuldner, das Haus jemals tatsächlich zu besitzen. Die Tatsache, daß alle Teile der Bevölkerung in Bremen ein eigenes Haus besaßen, bewegte bürgerliche Sozialreformer und in ihren Anfängen auch die Sozialdemokratie dazu, das Bremer Modell als Alternative zum großen Mietshaus Berliner Art, das seit seinen Anfängen wegen der unmenschlichen Wohnbedingungen ( bis zu fünf Personen auf ein Zimmer) heftig kritisiert wurde, zu propagieren. Wenn eine Familie alleine in einem Haus wohnte, mochte dies auch angehen, doch führte die Entwicklung dazu, daß zwei oder drei Familien schließlich ein Haus bewohnten, das vom Grundriß her auf eine Familie zugeschnitten war.

Zu dieser Entwicklung führte der Zollanschluß Bremens an das Deutsche Reich. Das geschah unter dem Druck, den die Einführung von Schutzzöllen für die heimische Wirtschaft erzeugte. Nun entwickelte die Industrialisierung auch im Bremer Stadtgebiet ihre Dynamik. Durch den steigenden Flächenverbrauch stiegen die Grundstückspreise stark an. Gleichzeitig sank die Neigung, Geld zum Hausbau zu verleihen, da sich in der vorangegangenen Wirtschaftskrise gezeigt hatte, daß etliche der von Bauunternehmern spekulativ auf Kredit gebauten Häuser unverkäuflich waren. Diese Entwicklungen verteuerten den Hausbau so, daß die Käufer gezwungen waren, Untermieter in ihre Häuser zu nehmen, um die Zinsen zahlen zu können. Im Zuge dieser Entwicklung entstanden nun größere Häuser, deren Grundriß aber trotz der realen Belegung mit zwei oder drei Familien auf eine Familie zugeschnitten war, da der Käufer hoffte nach Rückzahlung des Kredits, für die er die Untermieter aufnahm, mit seiner Familie alleine im Haus wohnen zu können. Daß sich dadurch die Bedingungen in den Bremer Häusern, die über keine abgeschlossenen Wohnungen für die einzelnen Familien verfügten, zum Teil noch wesentlich schlimmer gestalteten als in echten Mehrfamilienhäusern, ist offensichtlich. Auch wurden die Häuser bei sinkender Breite immer tiefer, um die Grundstücke möglichst effektiv zu nutzen. Der ursprünglich vorhandene Garten hatte bei den später entstandenen Bremer Häusern nur noch die Funktion eines Abstellplatzes. Auch entstanden durch die steigende Bautiefe in der Mitte des Hauses schlecht beleuchtete und belüftete Räume. Aus diesem Grund ist das Lob des Bremer Hauses kritisch zu betrachten, da es nicht zwischen der geplanten Nutzung und der tatsächlichen Nutzung unterscheidet.

Trotz dieser Entwicklung sind in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg praktisch keine echten Mehrfamilienhäuser gebaut worden, obwohl das Verbot, diese zu bauen inzwischen aufgehoben worden war. Auf Grund der Bremer Traditionen war für sie keine Nachfrage vorhanden. In der Zeit zwischen 1918 wurden war das Einfamilien-Reihenhaus zwar noch die vorherrschende Bauform, doch entstanden in zunehmendem Maße, hauptsächlich durch die Gewerkschaften, auch große Wohnblöcke, um den durch die Entwicklung des Bremer Hauses zum versteckten Mehrfamilienhaus sich verschlechternden Wohnbedingungen eine Alternative entgegenzusetzen.


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